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„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ – fast jeder kennt den berühmten Beginn von Johann Wolfgang von Goethes Ballade 'Der Erlkönig' und fast jeder hat sofort die zweite Verszeile des Gedichtes im Ohr: „Es ist der Vater, mit seinem Kind“. Kein Wunder! Die Gedichte Goethes und seine Balladen gehören zum festen Bestandteil des Deutschen Kulturguts und nicht wenige haben den 'Erlkönig', 'Zauberlehrling' oder das 'Heidenröslein' in der Schule auswendig gelernt. Dies war auch schon im 19. Jahrhundert der Fall, als Goethe zum Nationaldichter der Deutschen gekürt wurde.
Entsprechend häufig widmeten sich auch bildende Künstler seinen Arbeiten. Der 1806 in München geborene Eugen Napoleon Neureuther gehört mit seinen 'Randzeichnungen zu Goethe’s Balladen und Romanzen' zu den wirkmächtigsten Illustratoren von Goethes Dichtung. In fünf großformatigen Heften fertigte er zwischen 1829 und 1839 mehr als 30 Lithografien an, die den Texten Goethes kunstvolle Randzeichnungen zur Seite stellen. Darunter finden sich nicht nur berühmte Gedichte wie das 'Mailied', 'Der Fischer' oder 'Mignon’s Sehnsucht', sondern auch heute weniger bekannte Texte wie 'Adler und Taube' oder 'Der Schatzgräber'.
Neureuthers Randzeichnungen haben jedoch nicht allein die Funktion, Goethes Gedichte zu illustrieren. Denn so reizvoll es auch sein mag, in den ornamentalen und kleinteiligen Darstellungen die Motive der Texte wiederzufinden, offenbaren die Bilder bei genauerem Hinsehen ein tiefsinniges kunsttheoretisches Potential. Dies liegt vor allem an der formalen Gestaltung der Blätter: Sie sind als fantasievolle Arabesken angelegt, einer Kunstform, die in der Romantik eine Renaissance erfuhr und weniger als Dekoration, sondern als Sinnbild der Natur angesehen wurde. Denn die zahllosen Linien der Arabeske mit ihren Anklängen an Pflanzenranken oder kuriose Gestalten wurden einerseits als Chaos erkannt, die meist symmetrische Gesamtkomposition hingegen als geordneter Kosmos, der sich aus dem Chaos herausbildet. Hinzu kam die spielerische Fantasie der arabesken Darstellungen, die nicht nur dem Künstler einen Raum bot, grotesk, kreativ und frei zu arbeiten, sondern auch die Betrachter dazu anhielt, ihre eigene Einbildungskraft durch das Liniendickicht wandern zu lassen.
Das Romantikerhaus Jena versammelt in seiner aktuellen Wechselausstellungen eine große Auswahl von Neureuthers 'Randzeichnungen zu Goethe’s Balladen und Romanzen', verortet sie in die Tradition der Romantik und lädt dazu ein, sich nicht nur von der Dichtung Goethes, sondern auch von Neureuthers Poesie der Linie bezaubern zu lassen.