Die Farbigkeit des Gemäldes wurde auf die blautürkisfarbenen Kacheln abgestimmt, die das Bild umgeben. Allerdings ist dies heute aufgrund von Alterungsprozessen nicht mehr eindeutig nachvollziehbar, da sich die Farbgebung ins bräunliche verändert hat. Auch die Ausgestaltung des Foyers, in dem sich das Werk befindet, stellt einen thematischen Bezug her: Reliefiertes Weinlaub rankt sich an der weißen Decke um den ganzen Raum und bettet das Werk somit atmosphärisch ein. Sowohl in der Vegetation als auch im kulinarischen Bereich der südlichen Ländern ist Weinlaub durchaus vertreten und fester Bestandteil der Kultur. Auch im Werk selbst findet man rankendes Weinlaub, das als Trennung der verschiedenen Szenen fungiert. Die verschiedenen Abschnitte scheinen auf den ersten Blick thematisch voneinander getrennt zu sein. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass die Abschnitte durchaus aufeinander Bezug nehmen und somit eine logische Komposition ergeben.
Auf der linken Seite fällt dem Betrachter in Mitten einer Figurengruppe ein Lammträger auf, der typischer Weise als christliches Symbol verwendet wird. Aber auch im orientalischen Raum dient er als Sinnbild für den fürsorglichen Herrscher, der als Verantwortungsträger auch für die Schwächsten zu sorgen hat. Anschließend eröffnet Crodel einen Blick in ein sogenanntes Kaffeeneion, ein traditionell griechisches Kaffeehaus, in dem man sich zum geselligen Zusammensein traf. Zu früheren Zeiten war es durchaus unüblich, dass man in solchen Etablissements Frauen antraf, da diese Lokale der männlichen Bevölkerung vorbehalten waren. Crodels Darstellung der Frauenfigur im roten Kleid, die sich im Vordergrund zeigt, ist demnach in einem modernen Kontext zu sehen. Zudem gelingt es dem Künstler über die rote Farbe eine Verbindung zum rechten Ende des Gemäldes zu schaffen, wo dem Betrachter erneut ein Kaffeehaus gezeigt wird, in dem nun ein Mann im Vordergrund steht.
Zuvor wandert der Blick allerdings zur Darstellung der Laskarina Bouboulina, die griechische Variante einer Mariannen-Figur und Ikone des griechischen Unabhängigkeitskrieges, die vor dem Parthenon auf der Akropolis die griechische Fahne zum Kampf schwenkt. Die Darstellung weist große Ähnlichkeit zu Eugène Delacroixs Werk „Die Freiheit führt das Volk“ (1830) auf, in dem die Barrikadenkämpfe der französischen Revolution verarbeitet werden. Die Marianne steht dort symbolisch für Freiheit und verkörpert somit den Geist dieser Zeit. Delacroixs Motiv schien auch für das Thema Crodels sehr passend, weshalb angenommen werden kann, dass sich der Künstler durchaus von dem französischen Maler inspirieren ließ. Die Figur der Bouboulina kann demnach ebenfalls als symbolische Anführerin der griechischen Revolution gesehen werden, die das Volk in Richtung Freiheit und Unabhängigkeit führen sollte. Ähnlich wie im französischen Vorbild wird sie entblößt mit erhobener Flagge gezeigt.
Mit einem Blick in den Hintergrund und auf die Figuren rechts neben der Bouboulina lässt sich schnell erkennen, dass nun sehr eindeutig die Auseinandersetzung im Zuge der Revolution thematisiert wird: Ein Verwundeter im Hintergrund mit aufgescheuchten Pferden, im Vordergrund kämpft ein Grieche gegen einen am Boden knienden osmanischen Krieger, der sich mit einem Schild gegen den bevorstehenden Schlag mit einem Stein zu schützen versucht. Mit dem Blick zur Bouboulina scheint der griechische Kämpfer Bestätigung und Ansporn zu suchen. Im Verlauf des Gemäldes zeigen sich noch weiterer Szenen eines erbitterten Kampfes: Verwundete liegen mit verbundenen Gliedmaßen am Boden, griechische Frauen eilen den Verletzten zur Hilfe und andere tragen die Waffen der Kämpfer. Crodel widmet ca. Dreiviertel des Gemäldes der Revolution und setzt die Szenerie vor die Akropolis mit ihren bekanntesten Tempeln, dem Wahrzeichen Griechenlands.
Crodels Wandmalerei ist nicht nur ein biografisch gefärbtes Werk, sondern auch Beispiel für Philhellenismus und Antikenrezeption zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aufgrund des heute stark funktional geprägten Foyers ist es jedoch wohl das am wenigsten wahrgenommene Kunstwerk der Universität.
Literatur:
Suzanne L. Marchand: Down from Olympus: Archaeology and philhellenism in Germany 1750-1970, Princton 1996.
Cornelius Steckner: Charles Crodel Architekturmalerei: 1914-1973. Köln, 2020.
Text: Annelie Ortmann