Vorlesung im Kino (WS 2020/21)
Meldung vom:
Die Kunst der Genauigkeit. Geschichte, Ästhetik und Aktualität des Dokumentarfilms
(Dr. Peter Hermann Braun)
Bereits Robert Flaherty, der 1922 mit „Nanook of the North“ einen der ersten abendfüllenden Dokumentarfilme drehte, beschrieb treffend: „Gegenstand des Dokumentarfilms, wie ich ihn verstehe, ist das Leben in der Form, wie es gelebt wird. Er verbindet die Wirklichkeit mit dem Dramatischen.“ Damit sind die beiden Pole benannt, zwischen denen sich dokumentarische Filme bewegen: das Reale, Konkrete, Vorgefundene mit seinen unscharfen Verlaufsformen – und das filmische Erzählen. Für die Entstehung eines Dokumentarfilms bedeutet dies: Alles, was es für das filmische Erzählen braucht – eine Protagonist*in, eine story, Handlungsbögen, filmische Räume, etc. – müssen in der Wirklichkeit vorgefunden, szenisch arrangiert und aufgenommen werden. Zugleich aber gilt es, beginnend mit der Recherche, sich offen zu halten für das, was vor Ort tatsächlich da ist, und für die Zufälle, die sich beim Drehen ergeben – für die Momente des Rohen, die sich dem Diktat eines narrativen Zusammenhangs entziehen. Beides gilt es dann, in der Montage – in der räumlichen und zeitlichen Gestaltung des Films – zusammenzuführen. In einem viel stärkeren Maß als beim Spielfilm muss deshalb jeder Dokumentarfilm seine Form im Prozess der Montage erst finden. So benötigen alle Phasen der Entstehung eines Dokumentarfilms – Recherche, Dreharbeiten und Schnitt – eine hohe Präzision und erheben ihn zu einer Kunst der Genauigkeit.
In der Vorlesung werden wir uns mit den unterschiedlichen Ästhetiken des Dokumentarfilms, die sich im Laufe der Filmgeschichte ergeben haben, auseinandersetzten. Sie tendieren, mitbedingt durch die unterschiedlichen technischen Möglichkeiten, bald mehr zum Pol des Narrativen, bald mehr zum Pol einer offenen Struktur der Momente. An exemplarischen Beispielen werden wir zudem diese Ästhetiken analytisch nachvollziehen. Der Schwerpunkt wird dabei auf der jüngeren Dokumentarfilmgeschichte der letzten 40 Jahre liegen.
Wie in früheren Semestern wird diese Vorlesung als Präsenzveranstaltung im Schillerhofkino stattfinden, so dass wir dort jeweils einen Film pro Sitzung ansehen können. Je nach den ab November gültigen Corona-Auflagen muss die Gruppe der Teilnehmenden eventuell geteilt werden. Sollte dies der Fall sein, wird diese Situation in der Vorlesung berücksichtig, indem wir die Themen jeweils in Blöcken zu zwei Sitzungen verhandeln. Alle Materialien werden überdies für diejenigen, die dann jeweils nicht im Kino sein können oder aus gesundheitlichen Gründen an der gesamten Veranstaltung nur digital teilnehmen können, auf Moodle zur Verfügung gestellt. Die Zahl der Teilnehmenden ist aufgrund der gegenwärtigen Situation auf 60 beschränkt. Nähere Informationen erhalten Sie rechtzeitig vor Vorlesungsbeginn im Oktober.