Muse im Frommannschen Garten

Standort Jena

Eine kurze Geschichte der Kulturwissenschaften in Jena
Muse im Frommannschen Garten
Foto: JF

Menschen leben längst unter den Bedingungen globaler Verflechtungen, aber immer an ganz konkreten Orten. Volkskundliche Kulturwissenschaft versteht sich als weltläufige Disziplin, sucht aber forschend immer auch die Verankerung in der Region, in der sie betrieben wird. Im kulturell vielfältigen Thüringen gab es – wie überall in Europa und im deutschsprachigen Raum – spätestens seit der Aufklärung und der Romantik volkskundliche Neugierden und Aktivitäten. Diese wurden jedoch lange nicht als akademische Wissenschaft, sondern außerhalb der Universitäten betrieben. Johann Gottfried Herder sensibilisierte die Aufmerksamkeit für die „Kultur des Volkes“. Mit der Romantik erwachten Interessen an Volksliedern, Märchen oder Sagen und – wie bei Ludwig Bechstein – die Leidenschaften, diese zu sammeln.

Jentower mit Riesenrad
Jentower mit Riesenrad
Foto: Raphael Reichel

Um 1800 hatten das Wissen um „Land und Leute“ und der Stellenwert der popularen und populären Kultur Aufwertung erfahren. Heimat- und Geschichtsvereine, Sammel- und Wissensorte wie Museen beförderten Projekte, so etwa das „Thüringische Wörterbuch“ u.v.a. Im 19. Jahrhundert als dem Zeitalter der nationalen Bewegungen fungierte die Volkskunde mit ihren Interessen am Volksleben und der Volkskultur (Bräuche, Kleidung, Hausforschung u.a.) immer stärker als Deutungsagentur für die Frage, was Nationen in kultureller Hinsicht zusammenhält und charakterisiert. Spätestens mit der Institutionalisierung des Faches um 1900 und erst recht im Nationalsozialismus wurden die Grenzen zwischen Ideologie und Wissenschaft noch durchlässiger. Arbeiten wie Martin Wählers „Thüringische Volkskunde“ (1940) geben Zeugnis, wie tief die Verwicklungen zwischen der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft und der Selbstmobilisierung von Wissenschaften für politische Intentionen waren. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass die Volkskunde nach 1945 zu denjenigen Fächern zählte, die sich schon früh intensiv und kritisch ihrer Geschichte im Nationalsozialismus widmeten. Die Auseinandersetzungen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit führten zu einer substanziellen Neuorientierung, in deren Verlauf sich die Volkskunde in eine Kulturwissenschaft verwandelte, in deren Zentrum die Analyse moderner und komplexer Gegenwartskulturen steht. Äußerer Ausdruck hierfür waren Umbenennungen des Faches in „Empirische Kulturwissenschaft“, „Kulturanthropologie“ oder „Europäische Ethnologie“, wie sie seit 1970 an anderen Universitäten vollzogen wurden. Die Frage des Namens ist eine offene. Mit der Bezeichnung Volkskunde/Empirische Kulturwissenschaft soll sowohl den Fachtraditionen wie der heutigen Fachidentität Rechnung getragen werden.

 

Jena (Merian)
Jena (Merian)
Grafik: CC (Wikipedia)

Als volluniversitäres Fach etablierte sich die Disziplin in Thüringen erst 1997/98 mit der Einrichtung des Studienganges Volkskunde/Kulturgeschichte und des Lehrstuhls für Volkskunde/Empirische Kulturwissenschaft (Christel Köhle-Hezinger) sowie der Professur für Kulturgeschichte (Michael Maurer). Diese Kombination der beiden Säulen Volkskunde und Kulturgeschichte im Jenaer Studiengang ist ein besonderes Markenzeichen im deutschsprachigen Raum. Sie folgt dem Wesen von Kultur, die nur als etwas historisch Gewordenes und gegenwärtig Relevantes angemessen verstanden und erkannt werden kann.

Die Universitätsvolkskunde in Jena ist verankert im Netzwerk der thüringischen Kulturarbeit und der regionalen Museumslandschaft und verwoben mit der Arbeit in außeruniversitären Institutionen wie dem Museum für Thüringer Volkskunde, der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen (Erfurt) oder der Volkskundlichen Kommission für Thüringen.